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Vernunft statt Polemik

30.10.2020

Vernunft statt Polemik

Nutzt man eine der zahlreichen Suchmaschinen im Internet, erfährt man, dass der moderne, demokratisch legitimierte Staat im engeren Sinne definiert wird als „eine politische Einrichtung, die mit der Ausübung allgemein verbindlicher Steuerungs-, Regulierungs- und Koordinierungsfunktionen betraut ist und sich dabei demokratischer Willensbildungs- und Entscheidungsprozesse bedient.“

Nach dieser Definition nimmt der Staat demnach eine zentrale Rolle im Zusammenleben der Menschen als „staatliche Gemeinschaft“ wahr.

Den gesetzlichen Rahmen dafür setzt die Politik, genauer gesagt die Volksvertreter, indem sie Gesetzestexte und Verordnungen erlassen.

Die Umsetzung dieser Regeln – auf der einen Seite die Freiheit, die der Staat dem Einzelnen gewährt; auf der anderen Seite die Verpflichtungen, die der Staat dem Einzelnen auferlegt – ist Sache des öffentlichen Dienstes. Den bei Staat und Gemeinden Beschäftigten kommt auf diese Weise eine überaus wichtige Aufgabe zu, hin zu einem geordneten Miteinander, ohne dass vielerorts Chaos und Willkür entstünden.

In Anbetracht dieser Tatsache ist es von entscheidender Bedeutung, dass sich der öffentliche Dienst nur der allerbesten Mitarbeiter bedient. Dass die Anwärter zum Staatsdienst so manche Hürde überwinden müssen, ist demnach nicht als reine Schikane zu betrachten, sondern fußt vielmehr auf der Erkenntnis, dass, wer im Dienst der Allgemeinheit arbeiten möchte, auch über die dazu erforderlichen Fähigkeiten verfügen muss. Die Anforderungen sind alles andere als gering. Und das aus gutem Grund!

Dass gerade in einem kleinen Land wie Luxemburg der Arbeitgeber Staat aus einem viel geringeren Reservoir schöpfen muss, als das bei unseren Nachbarn der Fall ist, macht das Auswahlverfahren nicht unbedingt einfacher. Das Gegenteil tritt ein. Und deshalb wurde ja auch bereits im Jahre 2009, im Übrigen mit Zustimmung der CGFP, die Entscheidung getroffen, bestimmte Bereiche des öffentlichen Dienstes für EU-Bürger zugänglich zu machen. Dieser damals in CSV-Regie gefasste Entschluss schloss hoheitsrechtliche Aufgaben ganz bewusst davon aus. Hier sollte, wie in anderen Ländern auch, nach wie vor der Nationalstaatlichkeit eine besondere Bedeutung zukommen.

Umso erstaunlicher war dann ja auch der jüngste Vorstoß gerade eines CSV-Abgeordneten, den Polizeidienst – ein Bereich der „puissance publique“ par excellence – weiträumig für Nicht-Luxemburger zu öffnen. Der Vollständigkeit halber sei erwähnt, dass diese Haltung bei einem Gespräch mit der CGFP wieder relativiert und eine weitere Öffnung nur als allerletzte Möglichkeit, nachdem alle anderen Pisten ausgeschöpft sind, ins Auge gefasst wurde.

Wenn nun auch der Generaldirektor der Rettungskräfte, wie unlängst geschehen, jungen EU-Bürgern den Zugang zum CGDIS uneingeschränkt ermöglichen will, als weiterer „Integrationsfaktor“, wie es hieß, drängen sich eine Reihe Fragen auf: Sind diese Berufe nicht mehr attraktiv genug für junge Luxemburger? Und wenn ja, wie kann man dann gegensteuern? Dies hat nicht im Geringsten etwas mit Fremdenfeindlichkeit zu tun – Luxemburg liefert unzählige Beispiele im Sinne eines gesunden Miteinanders –, sondern lediglich mit der Frage, ob dieser Staat noch die Fähigkeit besitzt, hoheitsrechtliche Aufgaben ohne äußeres Zutun zu bewältigen. Die CGFP tritt nicht erst jetzt dafür ein, zunächst einmal alle anderen Möglichkeiten, insbesondere auch mit Blick auf die steigenden Jugendarbeitslosenzahlen, genau zu prüfen. Und wenn all diese Bemühungen scheitern sollten, fordert die CGFP, als alleinige national repräsentative Berufsorganisation für den öffentlichen Dienst, in den Entscheidungsprozess eingebunden zu werden – sachlich, in aller Ruhe, mit kühlem Kopf, nicht aber hastig, am Rande einer Parlamentsdebatte.

Der öffentliche Dienst steht aber noch vor einer anderen Herausforderung, und zwar der bevorstehenden Digitalisierung bestimmter Verwaltungsbereiche. Klar, Entwicklungen wie digitaler Wandel und Künstliche Intelligenz werden auch vor dem öffentlichen Dienst nicht Halt machen. Und das ist gut so. Nur geht es auch hier darum, die Besonderheiten des öffentlichen Dienstes und insbesondere seine sozialen Verpflichtungen gegenüber seinen Mitarbeitern nicht zu vergessen. Bei allem technologischen Fortschritt muss der Mensch weiterhin im Mittelpunkt stehen.

Ganz in diesem Sinne wirft der Philosoph, Publizist und Autor Richard David Precht in seiner jüngsten Veröffentlichung „Künstliche Intelligenz und der Sinn des Lebens“ die Frage auf, welche Grenzen wir ziehen müssten, damit unsere Zukunft tatsächlich human wird. Und Precht ganz treffend: „Künstliche Intelligenz hat zwar einiges mit Intelligenz zu tun – aber kaum etwas mit Verstand und nicht entfernt mit Vernunft!“

Steve Heiliger,
CGFP-Generalsekretär